Samhain steht vor der Tür und damit sind wir bei einer weiteren Göttin angelangt, die, seitdem ich sie kennenlernte, sehr schätze und verehre: die schwarze Göttin mit Namen Sheela na Gig. Eine Göttin die aktuell bei uns noch nicht so bekannt ist oder deren Erinnerungen noch tief in uns vergraben liegen. Lernen wir auch diese Aspekte in uns zu vereinen, dürfte die Heilung vollzogen sein. Sie steht für den schwarzen Aspekt in uns und allem was ist. Hier ist neben der Finsternis, neben der Dunkelheit, der Tod gemeint, aber auch der Einzug des Winters, der mit Samhain beginnt. Wenn Lilith die Fruchtbarkeit verlässt, endet ihre Monatsblutung. Was von manchen als Verlust der Weiblichkeit gedeutet wird. Dies wird von manchen als Verlust wahrgenommen und deshalb versucht, diese Entwicklung, die Weiterentwicklung, aufzuhalten – mit den verschiedensten Möglichkeiten oder Techniken. Wer dieser neuen Phase in seinem Leben gelassen entgegen blickt und sich darüber freut, nun nicht mehr mit einer ungeplanten bzw. ungewollten Schwangerschaft rechnen zu müssen, spürt eine neue Freiheit in sich. Meistens sind die Kinder nun groß und/oder bereits ausgezogen und eine ganz neue Form der Unabhängigkeit kann so entstehen.
Als weiße, junge Frau warst du bereit und dabei, dein Leben zu planen und zu lenken. Mit vielen Hoffnungen und Wünschen, manche zeigten sich als realisierbar, andere nicht. Du durftest lernen, was es heißt eine Frau zu sein, mit allen Facetten und allen Unwägbarkeiten, aber auch Unsicherheiten und Ängsten.
So begann die Zeit der Mutter- und Partnerschaft. Eine Zeit in der du die eigenen Bedürfnisse hinten angestellt hast. Als Belohnung erfolgte die Liebe deines Kindes, deines Partners. Doch blieben das nicht die einzigen, wenn auch wundervollen Geschenke. Hinzu kamen die Geschenke die unweigerlich zu solch Partnerschaften, zu solch Beziehungen dazu gehören und auch mit Schmerz, Verlust und Ängsten einhergehen. So lerntest du einen anderen Aspekt deiner Weiblichkeit kennen. Aspekte die bis dahin vielleicht nur in dir schlummerten, noch nicht bereit ans Tageslicht zu treten und nun, hervorgerufen durch deine Mutter- oder Partnerschaft, bist du aufgefordert worden diese zu zeigen oder zu leben. Das hat dich erfahrener, reifer und ja auch weiser gemacht. Und nun bist du befreit, befreit von Zwängen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Nun kannst du frei entscheiden ob du weiterhin mit deinem Partner zusammen sein möchtest, in wie weit du dich in das Leben deines/deiner Kind/er einbringen möchtest. Eine vollständig andere und neue Phase deines Lebens beginnt, heiße sie willkommen und koste sie aus. In dieser Zeit verfügst du meistens über viel mehr Sicherheiten als je zuvor, du hast vermutlich ein Heim, ein Auskommen und bereits vieles für dich und dein Leben entschieden, auf Grund vorausgegangener Zeiten, Umstände und Situationen.
Nun hast du die Chance, die Möglichkeit neu anzufangen oder das zu vertiefen, was du schon immer wolltest. Sheela na Gig, die schwarze Göttin der Weisheit, der Erfahrung, des Wissens und des Erlebten. Es sagt eher was über uns und unsere Gesellschaft aus, dass wir diese Göttin kaum kennen oder wir durch ihren Anblick abgestoßen sind – darauf komme ich noch zurück -, und darüber wie wir mit unseren Alten umgehen. Heutzutage leben wir Menschen länger, unsere Körper (auch ohne Chirurgie) bleiben uns länger wohlgesonnen und wir können in diesen Jahren, in dieser Zeit noch so vieles kraftvoll umsetzen. Nicht ohne Grund wird gerade diese Phase in einem Leben, so manches Mal, als die beste beschrieben oder erlebt. Ja, der Körper verändert sich ein weiteres Mal, die Kraft beginnt nachzulassen, der Körper wird mehr von der Schwerkraft angezogen, die Spannkraft der Haut lässt nach und doch wissen wir, dass das nicht alles im Leben ist und wahr.
Es gibt aktuell geschätzt ca. 100 Abbildungen der Sheela na Gig, immer in Stein modelliert. Seit ungefähr 150 Jahren versuchen die unterschiedlichsten Wissenschaftler und Wissenssparten herauszufinden, was es mit ihr auf sich hat, bisher vergeblich. Sie findet sich auf Kirchen, Grabsteinen und Schlössern wieder. Einig sind sie sich bisher, dass sie sowohl für Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt zu stehen scheint und das ihre Abbildungen weder jung noch alt sind, sondern beides: jung und alt. Genau wie sie weder nur wohlwollend oder gar erschreckend ist, nein, sie birgt beides in sich: wohlwollend und abschreckend. Als wenn sie uns einen Hinweis darauf geben will, dass das Eine das Andere nicht ausschließt, sondern beides in Einem ist. vgl. Derungs, 2013, Seite 235
Hier der Versuch einer Beschreibung:
„Sheela-na-gis gibt es in verschiedenen Formen und Grössen; sie messen etwas zwischen 30 und 60 cm. Alle sind in Stein gehauen, sei es in roten Sandstein, Kalkstein oder grauen Granit. Eine Sheela-na-gig kann entweder Brüste einer alten Frau aufweisen, die flach und geschrumpft sind, oder eher seltene volle, seitlich hängende Brüste. Zudem solche, die ordentlich unter den Armen versteckt sind. Ihre Handgebärden sind zahlreich und offenkundig. In der klassischen Sheela – Stellung zieht sie mit beiden Händen ihre Vulva auseinander. Bei einigen Figuren zuckt man richtig zusammen – so heftig und energetisch ist die Geste, dass es scheint, ihre Vulva würde zerreissen. Die Hände können die Vulva von verschiedenen Seiten fassen – entweder unter den Oberschenkeln durch oder sie greifen über den Unterleib zur Vulva. Eine Sheela-na-gig ist meist in der Hocke dargestellt, eine Position die sich gut für die Ausführung ihrer Handlungen eignet und die gleichzeitig einen passenden Rahmen dafür gibt. Eine Sheela kann volle Brüste haben, eine grimmige alte Frau mit hervorstechenden Rippenknochen und Zähnen sein, ein fröhliches Lachen haben oder einen schwanger-aussehenden Bauch aufweisen, geflochtenes Haar besitzen oder kahl sein sowie eine, zwei oder keine Hände haben. Dennoch gibt es nur ein Merkmal, das eine Sheela ausmacht: die Geste, ihre übergroße Vulva und damit ihre heilige Sexualität offen zu zeigen. Alle Sheelas führen sie vor und machen sie geltend – die Macht der weiblichen Sexualität.[...]“ vgl. Derungs, 2013, Seite 236-237
In manchen Bereichen gilt diese Figur als Füllhorn, welches nie versiegt aber auch als Glücksbringer, Glücksbote und wurde überall da sichtbar angebracht wo Unglück oder Unheil abgewendet werden sollte. Vgl. Reimann & Schultz: Göttinnen Rituale, 2019, Seite 147. Weiter heißt es:
„Sheela-na-Gig ist das Sinnbild für die weibliche Kraft ohne Konventionen. Sie hat alle Lebenszyklen durchlebt und lebt jetzt außerhalb der aktiven Menschenkreis. Sie hat mit den fruchtbaren und zyklischen Kreisläufen der weiblichen Mysterien abgeschlossen und zieht sich nun daraus zurück in „ruhigere Fahrwasser“. Die Alte und Weise hat das Meiste im Leben bereits gesehen und erlebt und daraus ihre Lehren gezogen. Sie hat die Grenzerfahrungen des Lebens überstanden und kennt die Auswirkungen des menschlichen Handelns. Alle Facetten des Frausein hat sie in ihrem langen Leben erfahren. Nur noch selten lebt sie in einer lebensgemeinschaftlichen Partnerschaft, und wenn doch hat sie ihren festen Platz eingenommen, von dem aus sie sich sicher und geschützt für ihre eigenen Bedürfnisse einsetzt. Lebt sie allein, ist sie frei, um für sich selbst zu sorgen und zu entscheiden.[...]“ ebenda, Seite 149
Wer an ihrer Fülle, an ihrer Weisheit teilhaben will, dem wird empfohlen ihr Vulva zu streicheln. Für mich ist nach wie vor der größte Witz, dass diese sehr weibliche Figur bis in die Jetztzeit an Kirchen oder auch an Grabsteinen von Bischöfen zu finden ist. Scheint mir dies auf den ersten Blick wie ein Widerspruch und erst im nächsten Moment, erkenne ich, dass hier vermutlich gedacht wurde, dass vor einer älteren, nicht mehr menstruierenden Frau, keine ängstigenden Signale mehr ausgehen könnten und möchte mit den Worten schließen: sie könnten falscher nicht liegen...